Mitte

Kommt das Stadtforum nun bei sich selbst an?

Dr. Thomas Flierl
Vortrag während der Veranstaltung «Rathaus, Kirche, Fernsehturm, Marktplatz. Was bedeutet uns die Mitte der Stadt?», Stadtforum am 7. Juli 2000, vgl. Foyer 10. Jg./H. 4, Berlin, August 2000, S. 31 [ PDF ]

Auf die Nutzung des öffentlichen Raums der Berliner Innenstadt richten sich sehr verschiedene Interessen mit unterschiedlicher Durchsetzungskraft. Gerade in der Mitte einer lebendigen und toleranten Hauptstadt muss es gelingen, einen Ausgleich der Nutzungsansprüche zu ermöglichen und darzustellen; zwischen Anwohnern, privaten gewerblichen Anliegern, Berlinern und Gästen, zwischen Bürgern, Stadt und Staat. Die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Raum muss erkennbar bleiben, auch der Staat darf keine gesonderten Hoheitsbereiche ausbilden – darauf gründet die Idee des öffentlichen Raums und der europäischen Stadt. Neben dem grundgesetzlich geschützten Demonstrationsrecht verleihen insbesondere Veranstaltungen dem öffentlichen Raum ergänzende, über Geschichte und Alltag hinausgehende Bedeutungen und können auf diese zurückwirken.
Tourismusmarketing und Urban Entertainment haben verstanden, dass kultureller Alltag und Eventkultur einander ergänzen müssen. Eine nachhaltige Stadtpolitik wird aber vor allem auf die Erneuerung der kulturellen Ressourcen der öffentlichen Räume orientieren müssen. Denn Großevents können nicht nur einen kulturellen Mehrwert bringen, sie können die kulturelle Substanz des Ortes auch aufzehren.
Insbesondere das Brandenburger Tor und der Pariser Platz sind in den vergangenen Jahren enormen Belastungen ausgesetzt worden. Mit der spontanen Inbesitznahme durch die Berliner aus Ost und West am Tag der Maueröffnung 1989 wurde das offene Brandenburger Tor zu dem Symbol der Überwindung der deutschen und europäischen Teilung. Als solches wurde es am Tag der deutschen Einheit 1990 und in den ersten Jahren danach erlebt, seitdem medial re-inszeniert und politisch-protokollarisch genutzt. Obgleich der Pariser Platz seitdem weitestgehend baulich wiederhergestellt wurde und seine städtische Funktion zurückgewonnen hat, weckt das vor allem in der Wendezeit angehäufte symbolische Kapital des Ortes nun vor allem das kommerzielle Interesse an medial inszenierten Großveranstaltungen. Exemplarisch die Silvesterveranstaltungen: Der Pariser Platz wird wegen des Menschenandrangs zur geschlossenen Arena, das Brandenburger Tor ist unpassierbar und wird zur Bühnendekoration der Silvestershow eines privaten Fernsehsenders degradiert. Statt den symbolischen Gehalt des Brandenburger Tores durch kulturelle Projekte zeitgemäß zu erneuern, wird er lediglich aufgezehrt. Der medialen Fixierung auf das Brandenburger Tor folgte im Hauptstadtumzug die bundesweite Präferenz als Demonstrationsort. Aber nicht die Einschränkung des Demonstrationsrechtes bei gleichzeitiger Ausrufung der „Hauptstadt der Parties“ am Brandenburger Tor, sondern der behutsame Umgang mit dem nationalen Symbol und die Entwicklung neuer Orte in der Stadt müssen Entlastung bringen.
Können Veranstaltungen öffentliche Räume devastieren, so können sie sie auch entwickeln: neue Gebrauchsweisen der Orte erkunden, Bedeutungen im Bewusstsein der Stadt verankern und Ansprüche an deren Gestaltung formulieren.
Ein solcher Ort ist der Bereich zwischen Spreeinsel und Alexanderplatz, der die Potenz hätte, zum öffentlichen Freiraum der ganzen Stadt, zum Stadtinnenraum, zum Stadtforum zu werden. Historisch die städtische Ergänzung zum Schlossbezirk und dem Forum Fridericianum, perspektivisch die Ergänzung zum Bürgerforum im Spreebogen und zum neu zu gestaltenden Humboldt-Forum als dem Ort von Geschichte, Kultur und zukunftsgerichteter Kommunikation auf der Spreeinsel.
Die Monumente städtischer Kultur, Rathaus und Kirche, waren in Berlin nie um einen Marktplatz gruppiert, auch der Neue Markt hatte diese Funktion nicht wahrgenommen. Nun sind sie eingelassen in eine, durch Wohnhäuser gebildete und vom Fernsehturm überragte Raumschale, in der sie präsentiert werden ohne einen früheren Zusammenhang zu simulieren, einzig durch die Sichtbeziehung und durch die Aktivität der Bürgerinnen und Bürger miteinander in Beziehung gesetzt. Hier am Roten Rathaus ist der Ort der gesamtstädtischen Demonstrationen, Veranstaltungen und Feste. Berlin darf dieses Potenzial zur Entwicklung einer Kultur des öffentlichen innerstädtischen Freiraums nicht gedankenlos vergeben, aller antimodernistischen Standhaftigkeit des Planwerks zum Trotz. Mit den Blade nights hat die @-Generation ihren Anspruch bereits angemeldet.