Nachruf der Hermann-Henselmann-Stiftung
Rolf Kuhn (1946—2024)
Lehrer einer ganzen Generation von Planer:innen in der DDR
Frage und beobachte die Menschen, die hier leben –
dann plane und gestalte die Stadt
Rolf Kuhn habe ich 1981 beim Studium an der Hochschule für Bauwesen und Architektur kennengelernt. Er hatte selbst dort 10 Jahre zuvor studiert und promoviert. Rolf Kuhn war nicht nur ein großartiger Experte und Lehrer – er war ein lebensfroher, inspirierender, mitreißender Mensch. Sein Tod vor wenigen Tagen macht mich sehr traurig.
Das herausragende Erlebnis mit ihm für mich – und ich bin mir sicher, nicht nur mir geht es so – war das kommunalpolitische Praktikum im Sommer 1982 in Rostock. Wir – rd. 60 Studierende der Sektion Städtebau und Gebietsplanung am Ende des 1. Studienjahres – waren unter seiner Leitung sechs Wochen in Rostock unterwegs, den Bedürfnissen der Menschen, der Struktur der Stadt und ihrer Teilgebiete, auf der Spur. Architektur, Städtebau, Verkehrserschließung, öffentliche Räume, Sozial- und Haushaltsstruktur, Pendlerbewegungen und Freizeitverhalten haben wir analysiert, graphisch dargestellt und gezeichnet. Menschen bei ihren Aktivitäten im Raum beobachtet, gezählt, befragt. Interviews mit Menschen in ihren Wohnungen geführt und sie zu ihrer Lebensumwelt befragt – zur Wohnung, zum Wohnumfeld, zum Quartier und zur Nachbarschaft, zur Stadt insgesamt. Wie zufrieden sie mit ihrer Wohnung sind, wo sie sich wohlfühlen, wo nicht und warum, welche Veränderungen sie sich wünschen, wie wichtig ihnen bestimmte Orte sind, wie oft sie das Stadtzentrum aufsuchen und zu welchem Zweck und vieles andere mehr. Dieses Praktikum hat mir seinerzeit tatsächlich die Augen geöffnet, worauf es ankommt in der Stadtplanung, wie unterschiedlich die Wohn- und Lebensverhältnisse und auch die Ansprüche an sie sind.
Die Hochschule hat seinerzeit mit der Stadt Rostock zusammengearbeitet. Wir hatten verschiedene Treffen und eine Abschlusspräsentation mit Verantwortlichen der Stadt. Die Ergebnisse unserer Arbeit haben wir auf fast 100 Tafeln zusammengefasst. Deren gewichtige Fotodokumentation hielt ich jüngst in den Händen. Und war erneut beeindruckt und bewegt. Diese sechs Wochen damals haben mir meinen künftigen Beruf auf ganz neue Weise nahegebracht. Durch die Augen der Bewohner:innen die Stadt zu sehen, ihre Qualitäten, ihre Mängel, ist bis heute für mich eine zentrale Strategie bei der Beschäftigung mit Planungsfragen.
Rolf Kuhn hat dieses Lehrformat mit seinem Team am Lehrstuhl für Stadtsoziologie kreiert und seit Ende der 70er Jahre in etlichen DDR-Städten durchgeführt. Die Ergebnisse waren nicht nur für die Studierenden und die Forschung wertvoll, sondern auch für die Kommunen. Es blieb dabei nicht aus, dass sich ein immer stärkerer Widerspruch zeigte zwischen dem Neubauprogramm der DDR und der Vernachlässigung der bestehenden Städte. Und dass eine stärkere Hinwendung zum Bestand und eine behutsame Stadterneuerung und Regionalentwicklung ein wesentliches Anliegen der Arbeit von Rolf Kuhn wurde.
Über die weiteren beruflichen Stationen von Rolf Kuhn – Bauhaus Dessau ab 1987 und IBA Fürst Pückler Land in Brandenburg ab 1998 – können Andere besser berichten. Für mich bleibt Rolf Kuhn als Lehrer und Wegweiser unvergessen. Ebenso sein Humor, seine Freude an Spaß und Gesang, seine Menschenfreundlichkeit. Es tut weh zu wissen, dass es ihn nicht mehr gibt.
Katrin Lompscher
Dipl. Ing für Städtebau, Absolventin der Hochschule für Architektur und Bauwesen
Vorsitzende der Hermann-Henselmann-Stiftung
Nachruf der Hermann-Henselmann-Stiftung
Rolf Kuhn (1946—2024)
Lehrer einer ganzen Generation von Planer:innen in der DDR
Frage und beobachte die Menschen, die hier leben –
dann plane und gestalte die Stadt
Rolf Kuhn habe ich 1981 beim Studium an der Hochschule für Bauwesen und Architektur kennengelernt. Er hatte selbst dort 10 Jahre zuvor studiert und promoviert. Rolf Kuhn war nicht nur ein großartiger Experte und Lehrer – er war ein lebensfroher, inspirierender, mitreißender Mensch. Sein Tod vor wenigen Tagen macht mich sehr traurig.
Das herausragende Erlebnis mit ihm für mich – und ich bin mir sicher, nicht nur mir geht es so – war das kommunalpolitische Praktikum im Sommer 1982 in Rostock. Wir – rd. 60 Studierende der Sektion Städtebau und Gebietsplanung am Ende des 1. Studienjahres – waren unter seiner Leitung sechs Wochen in Rostock unterwegs, den Bedürfnissen der Menschen, der Struktur der Stadt und ihrer Teilgebiete, auf der Spur. Architektur, Städtebau, Verkehrserschließung, öffentliche Räume, Sozial- und Haushaltsstruktur, Pendlerbewegungen und Freizeitverhalten haben wir analysiert, graphisch dargestellt und gezeichnet. Menschen bei ihren Aktivitäten im Raum beobachtet, gezählt, befragt. Interviews mit Menschen in ihren Wohnungen geführt und sie zu ihrer Lebensumwelt befragt – zur Wohnung, zum Wohnumfeld, zum Quartier und zur Nachbarschaft, zur Stadt insgesamt. Wie zufrieden sie mit ihrer Wohnung sind, wo sie sich wohlfühlen, wo nicht und warum, welche Veränderungen sie sich wünschen, wie wichtig ihnen bestimmte Orte sind, wie oft sie das Stadtzentrum aufsuchen und zu welchem Zweck und vieles andere mehr. Dieses Praktikum hat mir seinerzeit tatsächlich die Augen geöffnet, worauf es ankommt in der Stadtplanung, wie unterschiedlich die Wohn- und Lebensverhältnisse und auch die Ansprüche an sie sind.
Die Hochschule hat seinerzeit mit der Stadt Rostock zusammengearbeitet. Wir hatten verschiedene Treffen und eine Abschlusspräsentation mit Verantwortlichen der Stadt. Die Ergebnisse unserer Arbeit haben wir auf fast 100 Tafeln zusammengefasst. Deren gewichtige Fotodokumentation hielt ich jüngst in den Händen. Und war erneut beeindruckt und bewegt. Diese sechs Wochen damals haben mir meinen künftigen Beruf auf ganz neue Weise nahegebracht. Durch die Augen der Bewohner:innen die Stadt zu sehen, ihre Qualitäten, ihre Mängel, ist bis heute für mich eine zentrale Strategie bei der Beschäftigung mit Planungsfragen. Rolf Kuhn hat dieses Lehrformat mit seinem Team am Lehrstuhl für Stadtsoziologie kreiert und seit Ende der 70er Jahre in etlichen DDR-Städten durchgeführt. Die Ergebnisse waren nicht nur für die Studierenden und die Forschung wertvoll, sondern auch für die Kommunen. Es blieb dabei nicht aus, dass sich ein immer stärkerer Widerspruch zeigte zwischen dem Neubauprogramm der DDR und der Vernachlässigung der bestehenden Städte. Und dass eine stärkere Hinwendung zum Bestand und eine behutsame Stadterneuerung und Regionalentwicklung ein wesentliches Anliegen der Arbeit von Rolf Kuhn wurde.
Über die weiteren beruflichen Stationen von Rolf Kuhn – Bauhaus Dessau ab 1987 und IBA Fürst Pückler Land in Brandenburg ab 1998 – können Andere besser berichten. Für mich bleibt Rolf Kuhn als Lehrer und Wegweiser unvergessen. Ebenso sein Humor, seine Freude an Spaß und Gesang, seine Menschenfreundlichkeit. Es tut weh zu wissen, dass es ihn nicht mehr gibt.
Katrin Lompscher Dipl. Ing für Städtebau, Absolventin der Hochschule für Architektur und Bauwesen Vorsitzende der Hermann-Henselmann-Stiftung