Dr. phil. Ulrich Hartung (Architekturhistoriker, Berlin) Rezension zu:
Claudia Tittel (HG.): Das Haus der Kultur Gera mit einem Vorwort der Herausgeberin und Texten von Oliver Sukrow, sphere publishers Leipzig 2021
ISBN: 987-3-9821327-6-1, 39 EUR
Der schöne Bild-Text-Band ist eine Premiere. Erschienen zum 40jährigen Bestehen des 1981 eröffneten Geraer Hauses der Kultur, bringt er die erste Darstellung eines vielseitig konzipierten Kulturbaus, der als Stadthalle, als Klub- und Ausstellungshaus, als Restaurantkomplex bis heute der Bevölkerung dient. Seine Raumgestaltung, die Kunstwerke und Design-Details im Haus, die Vielfalt historischer und gegenwärtig möglicher Nutzungen werden ebenso wie die Entstehungsgeschichte in attraktiven Großaufnahmen präsentiert.
Damit löste das vielfarbige Buch eine weitere Prämiere aus: Am 5. Juli brachte der Deutschlandfunk in seiner Sendung „Andruck – Magazin für politische Literatur“ erstmals die Besprechung eines Werks, das einen großen DDR-Kulturbau als Ausdruck politisch-ideologischer Selbstdarstellungsabsichten und zugleich als einmaliges Exemplar der „Ostmoderne“ vorstellt. Die Kölner Redaktion und der Thüringer Landeskorrespondent Henry Bernhard waren von der differenzierten Würdigung des Hauses beeindruckt; sie folgten eher ihrer Dokumentationspflicht als dem Auftrag, die Mär von Machterhaltung und Unterdrückung als alleinigem Ziel der (Kultur-)Politik in der DDR an weiteren Beispielen zu bebildern.
Ist und bleibt also das „Haus der Kultur“ in Gera ein Politikum? Claudia Tittel, die rührige Kulturamts-Leiterin und Initiatorin des Bandes, weicht der Frage nicht aus. Noch heute, schreibt sie in ihrem Vorwort, gebe es Befürworter und Gegner des Baus. Das begründe sich in der Ambivalenz der Ziele, die zu seiner Entstehung führten – er sei ein Monument der Kulturpolitik und zugleich ein Prestigebau der DDR-Führung gewesen. Tittel stellt ihn in die Reihe der großen Kulturpaläste seit den 1950er Jahren und entwickelt seine historische Wirksamkeit für Gera und die Region: “Bis heute verkörpert das Gebäude sowohl den Aufbruch der Stadt als auch den Machtanspruch und Repräsentationswillen des sozialistischen Staats und verweist damit auf die damalige Bedeutung Geras als Bezirkshauptstadt“ (S. 6). Einmalig sei zudem der Grad der Erhaltung wesentlicher Raumbereiche und des repräsentativen Äußeren. Die Qualität der damaligen „elegant-modernen Gestaltung“ und die multifunktionale Nutzungsvielfalt machten das Haus zu einem „hervorragenden Beispiel der DDR-Architekturmoderne.“ Tittel plädiert für dessen nachhaltige Weiternutzung. Sie bezeugt damit eine fortgeschrittene Erkenntnis seiner Gebrauchs- wie seiner Geschichtswerte.
Diese Argumentation wird von Oliver Sukrow fortgeführt und ergänzt. Er verweist auf die doppelte Bedeutung des Hauses als Symbol politischer Machtrepräsentation und Verkörperung eines umfassenden Kulturkonzepts. Danach versucht er den Bautyp in eine größere Entwicklungstendenz zu stellen. Unter dem Titel „Das Kulturhaus in der DDR“ (S. 21f) führt er verschiedene Baubeispiele an, verweist auf die historische Entstehung des „Kulturhauses“ und bringt dessen Entwicklung in einen europäischen Zusammenhang. Aber diese Gemeinsamkeiten werden kaum definitorisch konkretisiert – was eigentlich ein Kulturhaus ausmacht, worin es sich von benachbarten Bautypen wie der Stadthalle, dem Klubhaus, dem „Volkshaus“ oder gar dem Theater unterscheidet, bleibt unklar. Auch die unterschiedlichen Ausformungen des Bautyps in den vierzig Jahren DDR werden allzu schnell auf einen Nenner gebracht. Sukrow schreibt von einer „erstaunlichen architektonischen Bandbreite“ und fasst damit die traditionalistischen und die modernen Bauten zu einer Einheit zusammen. Das erscheint fragwürdig, denn der Satz Heinrich Wölfflins, dass nicht Alles zu allen Zeiten möglich ist, gilt hier besonders. Mit der Abkehr vom hierarchischen Formaufbau der Traditionalismus, verkörpert in dem Thüringer Kulturpalast von Unterwellenborn, änderte sich seit dem Ende der 1950er Jahre das Raumkonzept, das Verhältnis von Innen und Außen am Bau, verschoben sich Rang und Bedeutung der einzelnen Raumgruppen innerhalb eines Kulturhauses.
„Multifunktional“ waren auch die Kulturhäuser der 1950er Jahre, doch wurde später darunter etwas Anderes verstanden. In seiner „Beschreibung des Äußeren und Inneren“ (S. 22ff) erfasst Sukrow durchaus diesen Wandel. Der Autor arbeitet die Besonderheiten des Hauses an der Entwicklung des Funktionskonzepts heraus, das erst um 1977, zum Baubeginn, festlag. Der zeitgenössische Ehrgeiz richtete sich damals, nach ausländischen Anregungen, auf einen zugleich konzentrierten und wandlungsfähigen Saalraum, der sich für Konzerte und Show-Veranstaltungen ebenso eignete wie für Tagungen und Kongresse. Im Ergebnis entstand ein diagonal gerichteter Saal von sechseckiger Grundform mit maximal 1.683 Plätzen. Er war, wenngleich technisch weniger aufwändig, nach dem Vorbild des Großen Saals im „Palast der Republik“ gebildet, und wie dieser trat er in der Fassade des kubischen Baus nicht in Erscheinung.
Ein systematischer Vergleich der beiden Großbauten in Gera und Berlin würde ihr Entwurfsprinzip mit dem Konzept der „Umhüllung“ der Saalbaukörper als eines der Spätmoderne charakterisieren. Es führte zur Verklammerung, Unterlagerung und Integration der Funktionen, sichtbar am Einbau der Gaststätten in das Erdgeschoss an der damaligen Straße des 7. Oktober, heute wieder Schloßstraße. Darin zeigt sich ebenso eine Fortentwicklung der städtebaulichen Vorstellungen. Das Kulturhaus rückte als freistehender Bau von dem Standort an der „Straße der Republik“ immer mehr an das Raumgefüge der Altstadt heran, bis seine Ostseite zur Fassade der Straße des 7. Oktober wurde, in Traufhöhe und Fensterformen auf die gegenüberstehende Altbaufront bezogen. Zugleich hielten die Entwerfer an der Einheit der kubischen Baukörper und der der Fassadengliederung fest; eben dies kennzeichnet ihr Denken als spätmodern.
Bemerkenswert ist der Hinweis auf die direkte Einflussnahme von Bauminister Wolfgang Juncker auf die äußere Gestaltung. Er schlug die Verkleidung mit Sandsteinplatten und die Gliederung durch Profile und Fensterrahmungen aus braun eloxiertem Aluminium vor. Solch zentralisierte Bearbeitung verwundert indes nicht; schließlich war das Haus der Kultur zur Mitte des Jahrzehnts, von Berlin und dem Leipziger Neuen Gewandhaus abgesehen, das einzige Großprojekt dieser Kategorie in der ganzen Republik.
All dies findet sich in Sukrows Text angedeutet. Im folgenden Abschnitt zur städtebaulichen Standortentwicklung „Die Pläne für die sozialistische Umgestaltung des Zentrums“ (S. 53ff) bringt er eine Reihe von bislang unbekannten Plänen aus dem Staats- und dem Stadtarchiv. An Hand der Bilder lässt sich der Wandel in der Baukörper- und Raumauffassung von den späten 1950ern bis zum Beginn der 1980er Jahre nachvollziehen. Sie sind aber nicht nach ihrer Entstehungszeit geordnet, so dass die Abfolge der Planungen und ihre Auswirkungen daraus nur mühsam erschlossen werden können.
Als der ZK-Sekretär Albert Norden am 29. Juni 1958 den Grundstein für die Bebauung an der „Straße der Republik“ legte, begann die Neugestaltung in dem vorstädtischen Gebiet, einmalig für diese Zeit des Übergangs vom Traditionalismus zur Moderne und mit dem „großzügigen“ Abriss einer ganzen Häuserzeile verbunden. Sie stellte auch konstruktiv etwas Besonderes dar, durch die Anwendung der Großblockbauweise für höhere Bauten. Von dem Gesamtplan wurden nur die Front mit dem Hochhaus und die Wohnblocks dahinter, im Anschluss an kaiserzeitliche Quartiere, realisiert. Für die gegenüber geplante repräsentativste Gebäudegruppe mit dem Kulturhaus zeichnete man in der Folge interessante moderne Entwürfe, bis sich nach 1963 mit dem Bau des Hotels ein neuer Plan konkretisierte.
Er sah das Kulturhaus an der Rudolf-Breitscheid-Straße vor. Langgestreckte Bürohäuser und Punkthochhäuser sollten dazu kontrastieren, ganz im rationalistischen Stil der 1960er Jahre. Zum Ende des Jahrzehnts entstanden weitere Modelle mit zahlreichen Hochhäusern (S. 20). Das wohl letzte davon (S. 50 u., um 1970, irrtümlich um 1961 datiert) zeigte stark massierte Baukörper mit wieder geschlossenen Straßenecken. In der frühen Ära Honecker kam dann, nach dem Verzicht auf ein großes „zentrales“ Hochhaus und dem Ersatzbau am Ende der Breitscheidstraße, ein weitaus einfacheres Konzept zur Ausführung. Breite P 2-Wohnhochhäuser mit „unterlagerten“ Läden fassten den Straßenraum ein, und das Kulturhaus wurde an die Altstadt herangeschoben. Deren Kern war trotz zahlreicher Abrisse erhalten, in den wichtigsten Straßen um den Marktplatz gar restauriert worden und ließ sich nun mit dem „Haus der Kultur“ zu einer Folge von Stadträumen verbinden. Eine differenzierte Darstellung dieser Parallel-Entwicklung konnte Sukrow, nach DLF-Korrespondent Bernhard ein profunder Kenner der Planungsvorgänge, zugetraut werden.
Das Buch wird abgeschlossen durch eine Reihe eindrucksvoller Farbbilder, die das Haus im heutigen Zustand zeigen, außen und innen. Louis Volkmann hat das Foyer mit der Relief-Komposition „Lied des Lebens“, den Großen Saal, auch Klub- und mancherlei Technikräume dokumentiert. Kaum erkennen lässt sich, was mit der Spielstätte „Treffpunkt“, mit der „Funktionsunterlagerung“ durch ein Geschäft und die vielfältige Gastronomie geschehen ist. Leserinnen und Leser könnten mehr darüber erfahren, was der Saal an wechselnden Veranstaltungen möglich machte, wie der „Klub der Werktätigen“ im Alltag funktionierte, welche Möglichkeiten der Selbstbetätigung es darin gab; der Alltag des Hauses kommt in den Texten eindeutig zu kurz.
Das „Haus der Kultur“ wurde seinerzeit von Lothar Bortenreuter (Städtebau), Manfred Metzner und Günter Ignaczak (Studie), Günther Gerhardt, Karlheinz Günther, Gerd Kellner, Günter Meisgeier und den dazugehörigen Kollektiv-Mitarbeitern konzipiert. Leider hielten es die Autoren für opportun, in den Bezeichnungen für Menschengruppen, auch der Entwurfsverfasser (S. 6, 21f, 27, 32), zu „gendern“. Gerade in einem kulturhistorischen Text kommt das Absurde solcher Wort-Modernisierung zum Vorschein: Die Gender-Sternchen zerstören die Worteinheit; sie lassen sich nicht sprechen, und sie verzerren die historische Realität, weil sie Regeln der Gleichbehandlung auf Geschichtszeiträume übertragen, in denen diese nicht galten. Bei dogmatischer Anwendung ist es zudem nicht mehr möglich, reale weibliche Leistungen zu würdigen – und die fachlich notwendige Zusammenarbeit mit Männern korrekt zu bezeichnen. Der ursprünglichen Absicht, Kreativität von Frauen in allen Gesellschaftsbereichen erkennbar zu machen, wird damit ein BärInnendienst erwiesen.
Die Ausstattung des Buchs ist nicht nur wegen der großzügigen Bebilderung hervorzuheben. Mit seinem Leineinband in Grau-Beige, der Schrift in Orange und dem Vorsatzpapier gleichen Tons erfreut es das Auge. Zu verdanken ist dies dem Verleger Christoph Liepach, der jedes Produkt seines Hauses zu einem modernen Stück Handwerk machen will. Weniger Wert legte er auf ein Konzept für einheitlich informative Bildunterschriften. Über die – von Bernhard bereits monierte – schlechte Lesbarkeit der Orange gedruckten Unterschriften in den Textteilen hinaus geht das gänzliche Fehlen solcher Erläuterungen in den Bilddokumentationen. Soviel Raum muss sein, um z. B. bei den Gasträumen und den Kunstwerken im Foyer Namen oder Titel, Künstlerin oder Künstler aufzuführen und auch Bemerkungen zu funktionellen oder gestalterischen Details zu bringen. Mit umfassenden Informationen versehen – und durch eine historisch genaue Darstellung der (städtebaulichen) Entstehungsgeschichte ergänzt, wäre dieses Buch die perfekte Monographie eines einmaligen Werks der DDR-Architekturmoderne.
Dr. phil. Ulrich Hartung (Architekturhistoriker, Berlin, https://formprinzip.de)
Dr. phil. Ulrich Hartung (Architekturhistoriker, Berlin)
Rezension zu:
Claudia Tittel (HG.): Das Haus der Kultur Gera
mit einem Vorwort der Herausgeberin und Texten von Oliver Sukrow,
sphere publishers Leipzig 2021
ISBN: 987-3-9821327-6-1, 39 EUR
Der schöne Bild-Text-Band ist eine Premiere. Erschienen zum 40jährigen Bestehen des 1981 eröffneten Geraer Hauses der Kultur, bringt er die erste Darstellung eines vielseitig konzipierten Kulturbaus, der als Stadthalle, als Klub- und Ausstellungshaus, als Restaurantkomplex bis heute der Bevölkerung dient. Seine Raumgestaltung, die Kunstwerke und Design-Details im Haus, die Vielfalt historischer und gegenwärtig möglicher Nutzungen werden ebenso wie die Entstehungsgeschichte in attraktiven Großaufnahmen präsentiert.
Damit löste das vielfarbige Buch eine weitere Prämiere aus: Am 5. Juli brachte der Deutschlandfunk in seiner Sendung „Andruck – Magazin für politische Literatur“ erstmals die Besprechung eines Werks, das einen großen DDR-Kulturbau als Ausdruck politisch-ideologischer Selbstdarstellungsabsichten und zugleich als einmaliges Exemplar der „Ostmoderne“ vorstellt. Die Kölner Redaktion und der Thüringer Landeskorrespondent Henry Bernhard waren von der differenzierten Würdigung des Hauses beeindruckt; sie folgten eher ihrer Dokumentationspflicht als dem Auftrag, die Mär von Machterhaltung und Unterdrückung als alleinigem Ziel der (Kultur-)Politik in der DDR an weiteren Beispielen zu bebildern.
Ist und bleibt also das „Haus der Kultur“ in Gera ein Politikum? Claudia Tittel, die rührige Kulturamts-Leiterin und Initiatorin des Bandes, weicht der Frage nicht aus. Noch heute, schreibt sie in ihrem Vorwort, gebe es Befürworter und Gegner des Baus. Das begründe sich in der Ambivalenz der Ziele, die zu seiner Entstehung führten – er sei ein Monument der Kulturpolitik und zugleich ein Prestigebau der DDR-Führung gewesen. Tittel stellt ihn in die Reihe der großen Kulturpaläste seit den 1950er Jahren und entwickelt seine historische Wirksamkeit für Gera und die Region: “Bis heute verkörpert das Gebäude sowohl den Aufbruch der Stadt als auch den Machtanspruch und Repräsentationswillen des sozialistischen Staats und verweist damit auf die damalige Bedeutung Geras als Bezirkshauptstadt“ (S. 6). Einmalig sei zudem der Grad der Erhaltung wesentlicher Raumbereiche und des repräsentativen Äußeren. Die Qualität der damaligen „elegant-modernen Gestaltung“ und die multifunktionale Nutzungsvielfalt machten das Haus zu einem „hervorragenden Beispiel der DDR-Architekturmoderne.“ Tittel plädiert für dessen nachhaltige Weiternutzung. Sie bezeugt damit eine fortgeschrittene Erkenntnis seiner Gebrauchs- wie seiner Geschichtswerte.
Diese Argumentation wird von Oliver Sukrow fortgeführt und ergänzt. Er verweist auf die doppelte Bedeutung des Hauses als Symbol politischer Machtrepräsentation und Verkörperung eines umfassenden Kulturkonzepts. Danach versucht er den Bautyp in eine größere Entwicklungstendenz zu stellen. Unter dem Titel „Das Kulturhaus in der DDR“ (S. 21f) führt er verschiedene Baubeispiele an, verweist auf die historische Entstehung des „Kulturhauses“ und bringt dessen Entwicklung in einen europäischen Zusammenhang. Aber diese Gemeinsamkeiten werden kaum definitorisch konkretisiert – was eigentlich ein Kulturhaus ausmacht, worin es sich von benachbarten Bautypen wie der Stadthalle, dem Klubhaus, dem „Volkshaus“ oder gar dem Theater unterscheidet, bleibt unklar.
Auch die unterschiedlichen Ausformungen des Bautyps in den vierzig Jahren DDR werden allzu schnell auf einen Nenner gebracht. Sukrow schreibt von einer „erstaunlichen architektonischen Bandbreite“ und fasst damit die traditionalistischen und die modernen Bauten zu einer Einheit zusammen. Das erscheint fragwürdig, denn der Satz Heinrich Wölfflins, dass nicht Alles zu allen Zeiten möglich ist, gilt hier besonders. Mit der Abkehr vom hierarchischen Formaufbau der Traditionalismus, verkörpert in dem Thüringer Kulturpalast von Unterwellenborn, änderte sich seit dem Ende der 1950er Jahre das Raumkonzept, das Verhältnis von Innen und Außen am Bau, verschoben sich Rang und Bedeutung der einzelnen Raumgruppen innerhalb eines Kulturhauses.
„Multifunktional“ waren auch die Kulturhäuser der 1950er Jahre, doch wurde später darunter etwas Anderes verstanden. In seiner „Beschreibung des Äußeren und Inneren“ (S. 22ff) erfasst Sukrow durchaus diesen Wandel. Der Autor arbeitet die Besonderheiten des Hauses an der Entwicklung des Funktionskonzepts heraus, das erst um 1977, zum Baubeginn, festlag. Der zeitgenössische Ehrgeiz richtete sich damals, nach ausländischen Anregungen, auf einen zugleich konzentrierten und wandlungsfähigen Saalraum, der sich für Konzerte und Show-Veranstaltungen ebenso eignete wie für Tagungen und Kongresse. Im Ergebnis entstand ein diagonal gerichteter Saal von sechseckiger Grundform mit maximal 1.683 Plätzen. Er war, wenngleich technisch weniger aufwändig, nach dem Vorbild des Großen Saals im „Palast der Republik“ gebildet, und wie dieser trat er in der Fassade des kubischen Baus nicht in Erscheinung.
Ein systematischer Vergleich der beiden Großbauten in Gera und Berlin würde ihr Entwurfsprinzip mit dem Konzept der „Umhüllung“ der Saalbaukörper als eines der Spätmoderne charakterisieren. Es führte zur Verklammerung, Unterlagerung und Integration der Funktionen, sichtbar am Einbau der Gaststätten in das Erdgeschoss an der damaligen Straße des 7. Oktober, heute wieder Schloßstraße. Darin zeigt sich ebenso eine Fortentwicklung der städtebaulichen Vorstellungen. Das Kulturhaus rückte als freistehender Bau von dem Standort an der „Straße der Republik“ immer mehr an das Raumgefüge der Altstadt heran, bis seine Ostseite zur Fassade der Straße des 7. Oktober wurde, in Traufhöhe und Fensterformen auf die gegenüberstehende Altbaufront bezogen. Zugleich hielten die Entwerfer an der Einheit der kubischen Baukörper und der der Fassadengliederung fest; eben dies kennzeichnet ihr Denken als spätmodern.
Bemerkenswert ist der Hinweis auf die direkte Einflussnahme von Bauminister Wolfgang Juncker auf die äußere Gestaltung. Er schlug die Verkleidung mit Sandsteinplatten und die Gliederung durch Profile und Fensterrahmungen aus braun eloxiertem Aluminium vor. Solch zentralisierte Bearbeitung verwundert indes nicht; schließlich war das Haus der Kultur zur Mitte des Jahrzehnts, von Berlin und dem Leipziger Neuen Gewandhaus abgesehen, das einzige Großprojekt dieser Kategorie in der ganzen Republik.
All dies findet sich in Sukrows Text angedeutet. Im folgenden Abschnitt zur städtebaulichen Standortentwicklung „Die Pläne für die sozialistische Umgestaltung des Zentrums“ (S. 53ff) bringt er eine Reihe von bislang unbekannten Plänen aus dem Staats- und dem Stadtarchiv. An Hand der Bilder lässt sich der Wandel in der Baukörper- und Raumauffassung von den späten 1950ern bis zum Beginn der 1980er Jahre nachvollziehen. Sie sind aber nicht nach ihrer Entstehungszeit geordnet, so dass die Abfolge der Planungen und ihre Auswirkungen daraus nur mühsam erschlossen werden können.
Als der ZK-Sekretär Albert Norden am 29. Juni 1958 den Grundstein für die Bebauung an der „Straße der Republik“ legte, begann die Neugestaltung in dem vorstädtischen Gebiet, einmalig für diese Zeit des Übergangs vom Traditionalismus zur Moderne und mit dem „großzügigen“ Abriss einer ganzen Häuserzeile verbunden. Sie stellte auch konstruktiv etwas Besonderes dar, durch die Anwendung der Großblockbauweise für höhere Bauten. Von dem Gesamtplan wurden nur die Front mit dem Hochhaus und die Wohnblocks dahinter, im Anschluss an kaiserzeitliche Quartiere, realisiert. Für die gegenüber geplante repräsentativste Gebäudegruppe mit dem Kulturhaus zeichnete man in der Folge interessante moderne Entwürfe, bis sich nach 1963 mit dem Bau des Hotels ein neuer Plan konkretisierte.
Er sah das Kulturhaus an der Rudolf-Breitscheid-Straße vor. Langgestreckte Bürohäuser und Punkthochhäuser sollten dazu kontrastieren, ganz im rationalistischen Stil der 1960er Jahre. Zum Ende des Jahrzehnts entstanden weitere Modelle mit zahlreichen Hochhäusern (S. 20). Das wohl letzte davon (S. 50 u., um 1970, irrtümlich um 1961 datiert) zeigte stark massierte Baukörper mit wieder geschlossenen Straßenecken. In der frühen Ära Honecker kam dann, nach dem Verzicht auf ein großes „zentrales“ Hochhaus und dem Ersatzbau am Ende der Breitscheidstraße, ein weitaus einfacheres Konzept zur Ausführung. Breite P 2-Wohnhochhäuser mit „unterlagerten“ Läden fassten den Straßenraum ein, und das Kulturhaus wurde an die Altstadt herangeschoben. Deren Kern war trotz zahlreicher Abrisse erhalten, in den wichtigsten Straßen um den Marktplatz gar restauriert worden und ließ sich nun mit dem „Haus der Kultur“ zu einer Folge von Stadträumen verbinden. Eine differenzierte Darstellung dieser Parallel-Entwicklung konnte Sukrow, nach DLF-Korrespondent Bernhard ein profunder Kenner der Planungsvorgänge, zugetraut werden.
Das Buch wird abgeschlossen durch eine Reihe eindrucksvoller Farbbilder, die das Haus im heutigen Zustand zeigen, außen und innen. Louis Volkmann hat das Foyer mit der Relief-Komposition „Lied des Lebens“, den Großen Saal, auch Klub- und mancherlei Technikräume dokumentiert. Kaum erkennen lässt sich, was mit der Spielstätte „Treffpunkt“, mit der „Funktionsunterlagerung“ durch ein Geschäft und die vielfältige Gastronomie geschehen ist. Leserinnen und Leser könnten mehr darüber erfahren, was der Saal an wechselnden Veranstaltungen möglich machte, wie der „Klub der Werktätigen“ im Alltag funktionierte, welche Möglichkeiten der Selbstbetätigung es darin gab; der Alltag des Hauses kommt in den Texten eindeutig zu kurz.
Das „Haus der Kultur“ wurde seinerzeit von Lothar Bortenreuter (Städtebau), Manfred Metzner und Günter Ignaczak (Studie), Günther Gerhardt, Karlheinz Günther, Gerd Kellner, Günter Meisgeier und den dazugehörigen Kollektiv-Mitarbeitern konzipiert. Leider hielten es die Autoren für opportun, in den Bezeichnungen für Menschengruppen, auch der Entwurfsverfasser (S. 6, 21f, 27, 32), zu „gendern“. Gerade in einem kulturhistorischen Text kommt das Absurde solcher Wort-Modernisierung zum Vorschein: Die Gender-Sternchen zerstören die Worteinheit; sie lassen sich nicht sprechen, und sie verzerren die historische Realität, weil sie Regeln der Gleichbehandlung auf Geschichtszeiträume übertragen, in denen diese nicht galten. Bei dogmatischer Anwendung ist es zudem nicht mehr möglich, reale weibliche Leistungen zu würdigen – und die fachlich notwendige Zusammenarbeit mit Männern korrekt zu bezeichnen. Der ursprünglichen Absicht, Kreativität von Frauen in allen Gesellschaftsbereichen erkennbar zu machen, wird damit ein BärInnendienst erwiesen.
Die Ausstattung des Buchs ist nicht nur wegen der großzügigen Bebilderung hervorzuheben. Mit seinem Leineinband in Grau-Beige, der Schrift in Orange und dem Vorsatzpapier gleichen Tons erfreut es das Auge. Zu verdanken ist dies dem Verleger Christoph Liepach, der jedes Produkt seines Hauses zu einem modernen Stück Handwerk machen will. Weniger Wert legte er auf ein Konzept für einheitlich informative Bildunterschriften. Über die – von Bernhard bereits monierte – schlechte Lesbarkeit der Orange gedruckten Unterschriften in den Textteilen hinaus geht das gänzliche Fehlen solcher Erläuterungen in den Bilddokumentationen. Soviel Raum muss sein, um z. B. bei den Gasträumen und den Kunstwerken im Foyer Namen oder Titel, Künstlerin oder Künstler aufzuführen und auch Bemerkungen zu funktionellen oder gestalterischen Details zu bringen. Mit umfassenden Informationen versehen – und durch eine historisch genaue Darstellung der (städtebaulichen) Entstehungsgeschichte ergänzt, wäre dieses Buch die perfekte Monographie eines einmaligen Werks der DDR-Architekturmoderne.
Dr. phil. Ulrich Hartung
(Architekturhistoriker, Berlin, https://formprinzip.de)